Albert Räsch
Es ist der Tag meines 7. Geburtstages, als mein erstes Schuljahr endlich aus dem provisorischen Klassenzimmer hinter den Lehrerwohnungen in die neue Volksschule umziehen darf. Genau genommen können wir das erst am nächsten Tag, denn zum Festakt für die Einweihung sind nur der Schulchor und eine kleine Flötengruppe zugelassen. Erst danach dürfen wir mit unseren Eltern die neuen Räume besichtigen. Wir sind die Jüngsten und der bei weitem stärkste Jahrgang seit dem Ende des Krieges. Am 7. April sind wir 57 Schüler eingeschult worden. Der junge Lehrer Horst Reichrath unterrichtet unsere Jungen zusammen mit den Jungen der Klassen 7 und 9 (43) mit strengem Regiment gemeinsam in einem Raum.


Für die Vorgeschichte und das ganze Drumherum der Einweihung muss ich aber den damaligen Schulleiter Eduard Schuh und seine – manchmal sehr subjektiven – Aufzeichnungen in der Schulchronik bemühen.1
Schulleiter Schuh nervt auf allen Ebenen
Und diese zähe Vorgeschichte beginnt genau sieben Jahre früher mit seinem Dienstantritt im Sommer 1952. Fünf Lehrer unterrichten 193 Schüler: drei Müller, ein Flegel und ein Schuh.
Der neue Hauptlehrer erkennt schnell, dass die Instandsetzung der drei alten Schulgebäude auf Dauer kostspieliger als ein Neubau sein würde und empfiehlt dem Gemeinderat mit Schreiben vom 1.10. desselben Jahres, „den Bau einer neuen sechsklassigen Volksschule beschließen zu wollen.“


In den folgenden drei Jahren „bekniet“ er die „maßgeblichen Behörden und Gremien“ regelrecht, um den Bau in Gang zu bringen: den Schulvorstand, den Ortsbürgermeister, den Amtsvorsteher, Landtagsabgeordnete und Minister.2
Dabei spielt auch die neue Gefahrenlage zwischen den Schulgebäuden eine Rolle. Bisher hatten die Schüler sorglos auf der Grä:ert um das kleine Bächlein, das „Floss“, herum spielen können. „Seit Mitte Juni 1953 ist die neue Teerstraße nach Sitzerath freigegeben. Da sie unmittelbar an den Schultüren vorbeiführt, habe ich die Kinder in den Pausen auf den engen Raum zwischen den beiden Gebäuden beschränkt“, schreibt Schuh unter dem Datum vom 16.7.1953. In einem der Klassenräume lebt seit Jahren eine „schulfremde Familie“. Nach Protesten beim Kultusministerium gelingt es ihm endlich, ihren Auszug zu erreichen.



Im Gebäude auf der anderen Straßenseite waren Lehrerwohnungen (heute Friseurgeschäft). Der „Pausenhof“ der Volksschule befand sich bis 1953 zwischen den drei Schulgebäuden in der Gräärt, am und im „Floss“ (Fotos Mitte und rechts: Theo Plettenberg)
Im Schuljahr 1954/55 „hat die Schülerzahl ihren Tiefstand erreicht“, nur noch 19 Neue werden eingeschult. Rektor Schuh nervt jedoch weiter mit Klagen über unhaltbare Zustände in den Aborten und während der Pausen. Er schaltet sogar die Merziger Zeitung ein, wodurch er den Gemeinderat und den Amtsvorsteher gegen sich aufbringt.
Eine Million für das Grundstück
Endlich werden auf einer Sitzung des Schulvorstandes am 18.11.1954 genau 850.000 (Saar-) Franken für den Ankauf eines Grundstücks hinter der jetzigen Schule vorgesehen. Am 25.3.1955 werden schließlich 48 Ar Ackerland für 1.200.000 Franken4 (250 Fr pro m2) – nach Meinung von Herrn Schuh „zu teuer“ – gekauft.3 Zu Schuhs Verdruss schickt der neue Ortsbürgermeister Seimetz erst Mitte Februar 1956 die Katasterunterlagen an den Architekten, aber im April konkretisieren sich die Pläne: das Schulgebäude soll für sieben Klassen angelegt sein, auch eine Pausenhalle und eine Hausmeisterwohnung sind vorgesehen, allerdings kein „Volksbad“. Eine weitere Parzelle von 9 Ar wird erworben. Schuh klagt: „Bürgermeister Seimetz findet nicht die Zeit, sich entsprechend um die Schule zu kümmern, da er noch berufstätig ist.“ (Er arbeitet als Bergmann.) Oder kurz darauf: „Der jetzige Bürgermeister Seimetz ist krank und unfähig; Niemand kümmert sich um den Schulhausneubau.“
Und dann geht es doch weiter: In der Schulvorstandssitzung am 27.11.1956 werden zwei Millionen Franken für den Neubau vorgesehen, er soll im nächsten Jahr starten.


Tatsächlich beginnen am 28.6.1957 die Ausschachtungsarbeiten.5 Danach erschwert Dauerregen den Fortgang der Arbeiten. Fast ein Jahr später – am 23.5.1958 – findet im kleinen Kreis das Richtfest statt. 6
Was sonst noch geschah 1958
- Verzögerungen beim Bau der Kriegergedächtniskapelle
- Ausbau der L 375 nach Sitzerath
- Einweihung des neuen Feuerwehrgerätehauses in der Mühlenstraße
- Einweihung des neuen Sportplatzes an der Sitzerather Straße
- Ausbau und Asphaltierung der unteren Forsthofstraße
Der „historische“ Tag der Einweihung am 15. September 1959
Nicht wie vorgesehen im Frühjahr, sondern erst im Herbst 1959 kann das Hauptgebäude schließlich eingeweiht werden.


Amtsvorsteher Herbert Klein übergibt den Schulschlüssel an Rektor Eduard Schuh. In der 2. Stuhlreihe Pastor Waldemar Schuler
Die Saarbrücker Zeitung schreibt von einem „historischen Tag für die Hochwaldgemeinde“, Schulleiter Schuh von einem „langersehnten Tag“. 7 Zahlreiche Ehrengäste, Eltern, Lehrer und der Schülerchor nehmen an der Feierstunde vor dem Treppenaufgang teil. Die Schlüsselübergabe erfolgt durch den Amtsvorsteher Herbert Klein, die Einsegnung durch Pfarrer Waldemar Schuler. Der spricht von „einem Bollwerk christlichen und humanitären Geistes“ in „unserer vom Materialismus bedrohten Zeit“.


Ministerial-Dirigent Dr. Lorscheider lobt die großen Leistungen der saarländischen Regierung im Schulwesen und berichtet, dass in den vorangehenden fünf Jahren insgesamt 40 neue Schulen errichtet worden seien. Es wird auch daran erinnert, dass es sich um das dritte Schulhaus in 135 Jahren handelt (1826 und 1900) und dass die Unterhaltslasten überwiegend von der Gemeinde Wadrill zu tragen seien.
Die Merziger Volkszeitung ergänzt: „Ein Schülerchor und eine Flötengruppe traten auf, Ilse Weber trug das Gedicht „Lied der Arbeit“ vor. Im Anschluss an die Feierstunde waren die Ehrengäste zum Essen in das „Forsthaus“ geladen“.8


Rektor Schuh sieht weiter Anlass zu Kritik
Den Umzug der Schulmöbel hätten die Lehrer selbst und zwei Helfer machen müssen („um dem Schulverband Geld zu sparen“). Zudem habe Amtsvorsteher Klein die von den Lehrern „mühsam gesparten 500.000 Franken für Lehrmittel, Inventar … ohne einsichtige Begründung gestrichen, um das Geld für den Neubau zu verwenden“. Teilweise müsse man mit alten Möbeln Vorlieb nehmen. „Wir hatten nicht einmal mehr Geld, um Kreide zu kaufen,“ klagt er. „Diese Verwaltungsmanipulation von Herrn Klein wurde von uns als Schikane empfunden und als Rache dafür, dass ich trotz des Ministerbefehls (Dr. Josef Röder) keinen Kollegen an der Gebäudezählung teilnehmen ließ, da in Wadrill 48 Männer (!) im öffentlichen Dienst arbeiten.“ Er beschwert sich auch über den hohen Verbrauch der neuen Heizung: „Mit der neuen (zweiten!) Heizung haben wir 150 Zentner Koks in 20 Tagen verbraucht!!“ Und an anderer Stelle: „Wir haben immer noch kein Radiogerät für den Schulfunk!“9
Die Turnhalle und die neue Lehrerdienstwohnung sind noch im Bau. Die Turnhalle wird ein Jahr später fertig sein. Für die Lehrerdienstwohnung musste das zweite Schulgebäude aus dem Jahr 1900 (heute unterhalb des JCW-Gebäudes) abgerissen werden.10
Wir Schulkinder bekamen schließlich von diesem Tag der Einweihung auch noch etwas Gutes ab: einen Weck mit Wurst. 11
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1 Hauptlehrer (Rektor) Eduard Schuh in der Chronik der Katholischen Volksschule Wadrill, Band III, 1952-1959.
2 Im selben Jahr wird die „Milchspeisung“ eingeführt. „Es bleiben immer fast ¼ der Flaschen übrig. Übertriebener Sozialismus!“, kommentiert der Schulleiter (am 6.9.1955). Im Juni 1956 tritt eine epidemische (infektiöse) Gelbsucht auf, die 15 % der Schüler erfasst und drei Wochen dauert. Klassenräume und Toiletten werden drei Mal vom Gesundheitsamt desinfiziert. Eine mögliche Ursache kennt Hermann-Josef Haack: Der Misthaufen vom „Grä:erten Richard“ besaß für einige Jungen aus seiner Klasse eine besondere Anziehungskraft. Einmal verlor Bernd F. (aus dem „Spießecken“) das Gleichgewicht und stürzte vornüber in den saftigen Misthaufen hinein. Danach ging er wie selbstverständlich in die nächste Stunde!
3 Am 9.5.1956 – dem Tag des Baumes – wird am Pflanzgarten in Anwesenheit von Kultusminister Reinert der erste saarländische Schulwald angelegt.
4 Das waren umgerechnet 10.212 DM
5 Der Auftrag ging an die Fa. Hero aus Weiskirchen für 29 Mio Franken. Es herrscht eine „Hitze bis 39 °, Unterricht nur bis 11 Uhr. Tagesausflug der Oberstufe zur Burg Eltz und zu den Maaren. In Ruwer durfte die 8. Klasse ein Gläschen Wein trinken“.
Am 26.8. wird ein 16jähriger Waldhilfsarbeiter aus Wedern in der Sitzerather Sandgrube durch eine einstürzende Steilwand verschüttet. Er kann nur noch tot geborgen werden. Eine Woche vorher war ein Mann von einem Bus der Firma Brach aus Sitzerath bei der Brücke in Wadrill tödlich verletzt worden. „Es regnet seit 5 Wochen, kühle 10-14 °C, die Asiatische Grippe grassiert“. 179 Kinder besuchen die Schule.
6 Es hatte Ärger wegen der Lehrerdienstwohnung gegeben: In der Dienstwohnung, Haus Nr. 179, wohnen zwei Flüchtlingsfamilien aus Sachsen und Waldenburg (Ober-Schlesien). „Eine weitere Flüchtlingsfamilie kam im Oktober (1959) von Wadern mit 3 schulpflichtigen Kindern nach hier und wohnte in den Zollhäusern. Aber sie verschwand schon in der Neujahrsnacht 1959/60 wieder in die Zone, nachdem sie hier rund 1000 DM Schulden hinterlassen hatte.“
7 Ausgabe vom 16.9.1959
8 Ausgabe vom selben Tag
9 An Weihnachten 1959 schreibt er rückblickend auf das Schuljahr: Insgesamt besuchen 211 Kinder die Schule, darunter 4 evangelische, 4 neuapostolische, 37 aus Gehweiler, 8 aus Reidelbach. Für sie gibt es 4 bzw. 5 Lehrer (Eine Klasse wird als sog. „Schleppklasse“ geführt). Die Abschlussklasse (9. Schuljahr) wird wegen Lehrermangel nicht wie vorgesehen in Wadern, sondern zusammen mit den Klassen 1, 7 und 8 unterrichtet (1a + 7a + 8 + 9a Horst Reichrath die Jungen, 43), die Mädchen in diesen Klassen von Ingeborg Fußhöller, 36).
Die Lehrer Herr Michel (23 Jahre) und Frl. Fußhöller (21 Jahre) wohnen im Haus Nr. 208 (heute Friseursalon). In einer weiteren Dienstwohnung leben immer noch zwei Flüchtlingsfamilien.
10 „Wir bekommen 4 Mal wöchentlich je 90 Flaschen Schulmilch, die mit unterschiedlichem Behagen konsumiert werden“. Im Februar 1960 blickt er nochmals auf das vergangene Jahr zurück: Am 3.8. war für Wadrill der Wallfahrtstag zum Hl. Rock nach Trier. Am 24.10. beschenkte das 4. Schuljahr die im Dorf lebenden Flüchtlinge mit 3 Waschkörben voll ‚Liebesgaben‘ (Lebensmittel, Kleider). Aus dem Abfallberg beim alten Spritzenhaus wird eine neue Müllgrube für Friedhof und Schule.
11 60 Jahre nach der Einweihung ist das Gebäude schwer pflegebedürftig geworden, dabei sollte die Schule das ansehnlichste Gebäude in einem Dorf sein, fordert der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar. Erst für das Jahr 2020 steht eine größere Summe für Renovierungen zur Verfügung. Sie ist 2024 abgeschlossen.


