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Der Neubau des Kirchenschiffes 1888/89

Horst Georg Kuhn/Wadern (2019)

Geradezu bedrohlich war der bauliche Zustand der Kirche vor 150 Jahren. Die Planungs- und Bauphase des dritten Kirchenschiffes zog sich über zwei Jahrzehnte hin.

Ein Rundblick vom Kirchturm 1870

Seit Menschengedenken hält er einsam in luftiger Höhe die Wacht über das Wadrilltal. Es ist der alte Wetterhahn auf der Kirchturmspitze der hiesigen St. Martinskirche. Weithin reicht sein Blick. So wie der Wind ihn dreht, schaut er mal ins Tal hinunter zu unseren Nachbarn in Gehweiler, die gerade die Heuernte einbringen, oder blickt den Hang hinauf nach dem ruhigen Reidelbach, dessen Bewohner sonntags immer geschlossen zum Hochamt kommen. Im Winter dagegen richtet er seinen Blick des Öfteren auf die schneebedeckten Bäume der Hochwaldhöhen, wo die Waldarbeiter unermüdlich beim Holzrücken tätig sind.

Unsere Vorfahren mochten ihn nicht missen. Wenn sie landwirtschaftliche Arbeiten zu verrichten hatten, beachteten sie noch oft die heimischen Wetterregeln. Bei Bauernregeln spielte der Hahn als Wetterindikator eine bedeutende Rolle: „Dreht sich mehrmals der Hahn, so zeigt er Sturm und Regen an“. „Wenn der Hahn sich nicht dreht, zerbricht ihn der Sturm“. Durch den Rückgang der Landwirtschaft und durch die Einführung der Wetter- vorhersage war er bald nicht mehr gefragt. So dreht er Tag für Tag still seine Runde in Erinnerung an die guten Zeiten, als die traditionellen Feste wie Kirmes, Fastnacht, Erbsenrad, Martinsfeuer sowie Familien- und Kirchenfeste gefeiert wurden. Dann und wann gab es auch schlechte Zeiten, in denen Missernten, ansteckende Krankheiten, Unfälle und Kriege den Dorfbewohnern viel Leid brachten.

Der neue Pastor überrascht

Dennoch stieg die Einwohnerzahl stetig und die zweite Pfarrkirche aus dem Jahre 1768 fasste schon bald die eifrigen Kirchbesucher nicht mehr, die sonntags bei Wind und Wetter aus Gehweiler, Reidelbach, dem Grimburger Hof, Sitzerath und Wadrill die Gottesdienste besuchten. 1

Jahrzehntelang geschah nichts, bis im Jahre 1867 Pastor Siebenborn nach Wadrill versetzt wurde. Nachdem er sich mit den Schwierigkeiten in seiner Pfarrei vertraut gemacht hatte, teilte er im Frühjahr 1868 seinen überraschten Pfarrkindern mit, dass es so nicht mehr weiter gehen könne, und er eine neue Kirche, die dritte Pfarrkirche in Wadrill, bauen wolle. Nach dem Gottesdienst wurde vor der Kirche viel diskutiert und die Diskussionen schließlich in den angrenzenden Wirtshäusern fortgesetzt. Dabei stellten sich zwei wichtige Fragen:

Wie hoch sind die geplanten Baukosten? Wie werden die Kosten aufgeteilt?

    Schon nach wenigen Tagen richtete die kath. Kirchengemeinde Wadrill ein Gesuch an die Königliche Regierung nach Trier mit der Bitte um Überlassung eines Wald- grundstückes oben am Sitzerather Weg mit der Begründung: Bei dem vorhandenen Flurmangel möchte man den Wald verkaufen und aus dem Erlös eine Kirche bauen. Aus dem abgeholzten Grundstück könnte man nötiges Ackerland schaffen und führte weiter an:

    –  „auf 800 Menschen kommen nur 800 Morgen Ackerland,

    –  der Wald liegt mitten im Flur,

       –  das Land rings um den Wald ist nicht viel wert, namentlich die Wiesen nicht,

       –  der Boden scheint zu Ackerland geeignet,

       –  er ist bloß 5 Minuten vom Ort entfernt und ein Gehweg führt dahin,

       –  an Hochwald haben wir dann noch 600 Morgen und 400 Morgen Lohhecken“.

    Regierung und Forst waren durchweg bereit, dieses Gesuch zu unterstützen. Ein erster Schritt war gemacht.

    Die alte Kirche platzt aus allen Nähten

    Am 15. August 1869 fasste der Kirchenvorstand unter Pastor Siebenborn die Vergrößerung der Pfarrkirche betreffend folgenden Beschluss:

    „Euer Wohlgeboren erlaubt sich der ehrerbietig Unterzeichnete ein Bild unserer Pfarrkirche in Wadrill zu entwerfen, woraus ein Bild ersichtlich sein wird, dass dieselbe nicht im Stande ist die Hälfte der Pfarrkinder zu fassen. Das nur 17 m lange und 8,80 m breite Schiff fasst nur 542 Personen. Die Seelenzahl der Pfarrei beträgt aber 1613 Seelen. Diese große Masse soll sich nun auf diesem engen Raum zusammenpressen, was natürlich eine Unmöglichkeit ist. Die Kinder sind in dem kleinen Chor regelrecht eingepfercht. Viele Leute stehen im dunklen Kirchturm, so dass sie vom Gottesdienst nichts sehen noch hören können. Der größte Teil sucht Schutz unter der Linde, welche im Sommer Schatten bietet gegen die sengende Hitze und im Winter schützt vor Regen und Schnee. Stellen Sie sich die armen Sitzerather vor, wie sie oft schon durchnässt ankommen und dann in nassen Kleidern abermals jeder Witterung preisgegeben sind. Im Sommer ist im Innern der Kirche oft eine solche Hitze, so dass Leute ohnmächtig werden. Dadurch wird der Ablauf des Gottesdienstes natürlich gestört. Um es einigermaßen aushalten zu können, waren wir genötigt, die Fenster zur Hälfte ausheben zu lassen.“

    Der Pfarrer überlegte laut, wie diesem Übelstand abzuhelfen wäre.

    Ein erstes Konzept

    „Ich erlaube mir Ew. (Euer) Wohlgeboren einen Vorschlag zu machen, den man einem Techniker zur Prüfung vorlegen könnte. Schiff, Chor und Sakristei der jetzigen Kirche stehen gerade 100 Jahre. Bei einem Erweiterungsbau könnten außer dem Turm auch der Chor mit seinem schönen Kreuzgewölbe und die Sakristei stehen bleiben.

    Folglich könnten am Schiff vor Turm und Sakristei Kreuzarme angebracht werden, sofern der Raum das zulässt. Somit würde die Kirche mehr als ums doppelte vergrößert, was sicherlich ausreichen würde. Die Gestalt der Kirche wäre dann eine sehr gefällige Kreuzkirche. Dringend nötig ist, dass bald etwas geschieht, weil der Regen schon durch das schadhafte Dach eindringt“.

    Der Zustand des Kirchturms im Jahre 1938
    Eine erste Skizze des geplanten Kirchenschiffes ca. 1870

    Arm wie eine Kirchenmaus

    Der Pfarrer macht sich Sorgen, wie die Pfarrangehörigen die Kosten des Baues aufbringen sollen. Er stellt Überlegungen zu den einzelnen betroffenen Orten an: „Der Ort Wadrill ist so arm, dass die Leute unmöglich im Stande sind, aus der Tasche ihren Anteil zu zahlen. Nur einige Bauern können allein vom Ackerbau leben. Die Gemeindekasse besitzt auch keinen Vorrat in ihrer Kasse, da sie sich immer noch anstrengen muss, um Einnahme und Ausgabe im Gleichgewicht zu halten. Die Gemeinde besitzt zwar ziemlich viel Wald, allein doch nicht viel Holz, welches abgetrieben werden könnte.Ein Rettungsanker bietet sich nur in dem sogenannten Kirchenwald mit einer Größe von 63 Morgen. Aus dem Holz, das ziemlich viele Eichenstämme enthält, und aus dem Erlös des versteigerten Grundes und Bodens, wäre die Gemeinde in der Lage, ihren Anteil zu zahlen. Mit einer Überprüfung des Bodens wäre uns sehr geholfen.“

    Die Filiale Sitzerath: „Nach Rücksprache mit dem Bürgermeister Junk in Nonnweiler erkannte dieser die Not der Vergrößerung der Pfarrkirche vollständig an. Er erklärte mir, dass Sitzerath schon seit Jahren einen Baufonds hätte und seinen Anteil jederzeit zahlen könnte. Wir sollten nur beginnen.“

    Die Filiale Gehweiler: „Den Bürgern von Gehweiler wird der Kirchbau am schwersten fallen, da kein Gemeindevermögen vorhanden ist und nur wenige ihren Anteil selbst zahlen könnten. Ein Staatszuschuss könnte dieser armen Gemeinde helfen. Wenn dann der Trierer Bischof für Gehweiler eine Kirchenkollekte bewilligen würde, stände einer Haussammlung von Seiten der Obrigkeit nichts im Wege.

    Mit den Bürgern von Reidelbach und dem Grimburger Hof müsste noch gesprochen werden.“

    Die Planungen schlafen ein

    Diese Überlegungen von Pastor Siebenborn und seinem Kirchenrat wurden nun an die staatlichen und kirchlichen Behörden weitergereicht. Daraufhin stellte das Königliche Bauamt zu Merzig am 23. Januar 1870 über den Saarlouiser Baumeister Bock folgende Bedingungen:

    „Es ist nötig, dass zuvorderst eine genaue Aufnahme des Gebäudes stattfindet und dass danach die zu fertigende Zeichnung außen den Grundriss, einen Querdurchschnitt des Schiffes mit Choransicht im Innern und die Sakristei enthält. Die Aufnahme könnte von dem erfahrenen Baumeister Barbian aus Weiskirchen angefertigt werden“. 2

    Dann passierte eine ganze Weile nichts mehr und der aufkommende Krieg 1870/71 ließ schließlich die ganze Geschichte einschlummern. Im Herbst 1872 wurde die Kirche von außen von der Gemeinde beworfen (verputzt), ohne dass jemand den Auftrag gegeben hatte.

    „Ich ließ es geschehen, weil sie dadurch wenigstens etwas trockener wird. Um das Wasser abzuleiten, beantragte ich eine Dachrinne an der Straßenseite, die auch beschafft wurde“, notiert Pastor Siebenborn. 3

    Pastor Siebenborn gibt auf

    Im Jahr 1872 verließ Pastor Siebenborn nach seinen erfolglosen Bemühungen um das Kirchenerweiterungsprojekt die Pfarrei Wadrill. Als Nachfolger in einer stürmischen Zeit – es herrschte mittlerweile der Kulturkampf – wurde 1873 Pastor Johann W. Schneider ernannt. „Er wurde 1875 zeitweise vom Seelsorgedienst suspendiert, weil er einen im Rahmen von Bismarcks „Maigesetzen“ entlassenen Priester bei sich aufgenommen hatte“. 4

    Die Auseinandersetzung zwischen dem Reich und der katholischen Kirche endete 1879 mit einem Kompromiss. Der Staat übernahm die Schulaufsicht, die Führung der Standesregister und die bürgerliche Eheschließung. Ob Pastor Schneider die Baupläne in dieser schwierigen Zeit weiterverfolgen konnte, ist mir nicht bekannt. Er starb 1879 im Alter von nur 45 Jahren. Erst fünf Jahre später übernahm Pastor Martin Görgen die zwischenzeitlich verwaiste Pfarrei.

    Pastor Martin Görgen, der Bauherr des neuen Kirchenschiffes
    Plan für das neue Kirchenschiff durch ein Architekt Hector aus Saarlouis 1885

    Pastor Görgen macht einen neuen Anlauf

    Schon gleich nach seinem Dienstantritt unterstrich der neue Seelsorger in Beratungen mit dem Kirchenvorstand die Notwendigkeit einer Kirchenerweiterung. Anlässlich einer Firmung in Wadrill verhielt sich der Trierer Bischof Eberhard zurückhaltend, indem er meinte: „Man solle das vorhandene Gute nicht zerstören“.

    Aber was sollte man da noch retten? Eine Reparatur des Daches war nicht mehr möglich, weil die Sparren größtenteils gefault waren und die Wasserschäden immer größer wurden. Es herrschte „kirchlicher Notstand“. Hier konnte nur noch der Bau eines neuen Schiffs Abhilfe schaffen.

    Mit der Planung für die Erweiterung, die einem Kirchenneubau gleichkam, wurde der Architekt Wilhelm Hector aus Saarlouis-Roden beauftragt.

    Die Jahre 1885 bis 1887 waren angefüllt mit Planung, Finanzierung und Genehmigung des Bauvorhabens.5 Schließlich war es soweit. Am 11. Juni 1888 konnte die Grundsteinlegung stattfinden, worauf die geduldige Kirchengemeinde 20 Jahre gewartet hatte. Pastor Görgen konnte zufrieden sein. Die Gottesdienste wurden vorübergehend in die St. Ludwigs-Kapelle nach Gehweiler verlegt. 5

    Nach Vergabe der Bauarbeiten brauchten die beteiligten Firmen etwa ein Jahr zur Herstellung des Schiffs. Für die Beschaffung der notwendigen Bausteine erlaubte der Gemeinderat die Eröffnung eines neuen Steinbruchs im Hirschgotherwald. Die Steine wurden für 50 Pfennig pro Raummeter abgegeben.6

    „Ein Haus voll Glorie schauet…“

    „Am 24. Dezember 1889 wurde die Kirche von Pfarrer Görgen eingesegnet und am 24. April 1896 in feierlicher Form durch Weihbischof Karl E. Schrod konsekriert“. 7 Die endgültige Baurechnung betrug 40.136,78 Mark. Pastor Görgen hatte sein Ziel erreicht und seine Pfarrgemeinde hätte mit ihm einstimmen können: „Ein Haus voll Glorie schauet weit über unser Land, aus Wadriller Stein erbauet von Hectors Meisterhand“.

    Diese dritte Kirche steht heute noch wie vor 130 Jahren. Der Kirchturmhahn hält weiter seine Wacht. Nur muss er aufpassen, dass er seine Pfarrgemeinde zusammenhält. Die Kirche ist leider schon zu groß geworden.

    Unter Pfarrer Steffen erfolgte 1908 die Ausmalung des neuen Kirchenschiffs durch die Firma Klein aus Merzig. Das ursprüngliche Chorbild wurde 1981 anhand dieser Aufnahme von 1910 wiederhergestellt. 1938 wurde diese Darstellung übermalt und durch das sog. „Gottwald-Bild“ ersetzt. 8

    1 Zum Aussehen dieser zweiten Kirche siehe Zeichnung von Niklas Prümm im Kap. Kirchengebäude. ….

    2 Aufzeichnungen des Pastors Siebenborn im Pfarrarchiv

    3 Ebd.

    4 Robert Swenne, Willibrord Gerber in: Wadrill. Ein Heimatbuch, S. 85

    5 Die Gemeinde Wadrill trug 12.000 Mark aus ihrem Kapitalvermögen bei, außerdem einen Baumbestand. Der Fehlbetrag wurde durch eine Anleihe gedeckt. Beschlussbuch des Gemeinderates vom 16.2.1886

    6 Beschlussbuch vom 26.2.1888

    7 Wadrill S. 69

    8 Entsprechende Fotos im Kap. über das Kirchengebäude außen und innen