Der Wadriller Heckenbock
Leo Clasen
Seit Jahrhunderten findet einmal im Jahr in den Wadriller Wäldern ein seltsames Ritual statt: die Aufteilung der Niederwaldhecken unter den Anteilseignern, den sog. Gehöfern. Für Außenstehende ein geheimnisvolles Ereignis. Ein Gast könnte eine Teilung folgendermaßen miterlebt haben:


Samstag, 29. September 2018
Heute ist etwas anders bei unserem Bäcker Stefan. Um halb acht ist schon reger Betrieb, viele haben an diesem Samstagmorgen nicht die Zeit, etwas länger zu schlafen. Was ist denn los, ein Vereinsausflug oder ähnliches?„Wäescht dòu dat nett, haut géfft de Heck gedäelt!“ meint Erika, während sie mir meine lauwarmen Brötchen eintütet.
Aha, das könnt ich mir ja mal anschauen.
Offizieller Start ist um 09.00 Uhr, Treffpunkt diesmal am großen Wildacker „In der Alt Perch bei Hahnenbruch“. Wo ist das denn? „Hinter der Alm rechts rein ca. 500 m“. Schon auf dem Weg dorthin überhole ich den einen oder anderen Fußgänger. Wanderer, nein, das Outfit passt nicht so ganz. Außerdem haben die ein kleines Bündel Stöcke auf dem Rücken. Ich will Gerhard mitnehmen, aber der 80jährige winkt dankend ab, Bewegung tut gut!
Als ich vor Ort eintreffe, sind schon einige da: Leo der Gehöferschaftsvorsteher und die Vorstandsmitglieder. Rolf und Wolfgang sind für das technische Equipment zuständig, auf der Pritsche des Landrovers verbinden sie gerade einen Laptop mit Drucker und beides mit einer Autobatterie. Heckenteilung mit Hightech, soso. Peter und Manni unterhalten sich gerade über verschiedene Baureihen von Deutz Traktoren. Gerade kommt auch Markus mit seinem Quad, er hat Funkgeräte mitgebracht. Die werden später bei der Zuteilung gute Dienste leisten. Arnold hat einen kleinen Tisch aufgebaut, mit ein paar Schnapsgläsern und dazu passendem Inhalt, Flüssigobst zum Aufwärmen.
An einem der vielen Suzukis klebt ein Plakat, das meine Aufmerksamkeit erweckt. Ich sehe unterschiedliche Symbole, und lese Dinge wie, Hühnerfuss, Mistgabel, Raute, Winkel, Bäckerbrot sowie etliche Großbuchstaben. Das sind unsere Heckenzeichen, erklärt Leo mir.

Die heute noch gebräuchlichen Hausmarken, von Mitgliedern der Gehöferschaft auch „Heckenzeichen“ genannt, haben ihren Ursprung im Mittelalter. Da die Mehrheit der Bevölkerung weder lesen noch schreiben konnte, bediente man sich einfacher Symbole zur Kennzeichnung von Besitz, z.B. am Türsturz des Hauses. Die Hausmarken waren einzelne Buchstaben, einfache Symbole aus dem täglichen Leben wie Handwerkzeuge oder Nahrungsmittel.
Ich werde aus meinen Gedanken gerissen durch ein Sammelsurium von Motorgeräuschen. Ahh, jetzt treffen sie ein, die Gehöfer. Fendt, Güldner, Deutz, Eicher und Toni mit seinem Branson Geländewagen, Peter auf seinem Moped und Gerhard der Fußgänger ist auch schon da. „Moin du Heckenbock“, begrüßen Michael und Peter sich gegenseitig. Ist das nicht nett? Helmut trifft mit seinem Lada ein und einem Doppelachsanhänger („Drehschemelanhänger, Marke Eigenbau“, wie er mir später verrät). Auf dem Riesenhänger kaum sichtbar eine dünne Holzstange, die Rute, wie ich erfahre. Helmut ist seit Jahren der Rutengänger, eine schweißtreibende Angelegenheit, soviel kann ich jetzt schon verraten. Alois, sein Vorgänger, heute 84, sagte mir, dass schon Helmuts Opa Rutengänger war.
Die Diesel hauchen mit einem langsamer werdenden Klack, Klack,….Klack ihr Leben aus und der Auspuff eines Deutz entlässt ein letztes Wölkchen aus dem Auspuff.
Jeder Neuankömmling erhält von Leo ein herzliches Willkommen und ein Kärtchen sowie von Arnold einen Schnaps.



Auf der Karte sind Name und Heckenzeichen vermerkt sowie die Anteile, die dem Gehöfer zustehen. Diese werden Mäßchen genannt, ein historisches Relikt. Es ist die Maßeinheit der jeweiligen Gehöferschaftsanteile und so auch im Grundbuch vermerkt. Die Mäßchen der verschiedenen Liegenschaften haben eine unterschiedliche Wertigkeit. So zählt ein Mäßchen der Großzinserben z.B. einfach, ein Mäßchen der Wittemhoferben aber vierfach. Im Mittelalter war ein Mäßchen der Anteil des zu erbringenden Zinses an den Grundherrn, später dann der Anteil am Gesamteigentum. Auch wenn sich die Fläche einer Gehöferschaft ändern kann, so bleibt die Anzahl der Mäßchen in der Regel gleich. Die Rute ist 5m lang und in 16 Mäßchen aufgeteilt. Ein Mäßchen entspricht bei der Heckenzuteilung ca. 31 cm. Die Losnummer wird nach der Ziehung eingetragen.
Wenn heute noch wahrhaft historische Zeichen und Maßeinheiten Verwendung finden, dann muss auch die Gehöferschaft als Ganzes weit in die Geschichte zurückreichen. Und, so frage ich mich, was ist das überhaupt, Gehöferschaft?
Das charakterisierende Element einer Gehöferschaft ist der gemeinschaftliche Besitz der Ländereien und die (periodische) anteilige Nutzung durch die Eigentümer. Das bedeutet, kein Miteigentümer besitzt ein reales Grundstück, sondern einen ideellen Anteil am Ganzen. Auch die Nutzung (z.B. der Brennholzeinschlag) erfolgt adäquat. Bei Beschlüssen zählt nicht die Person, sondern abgestimmt wird nach Fläche.
Ein Vergleich, der diesem Konstrukt nahe kommt, ist die Aktiengesellschaft. Jeder Aktionär ist Miteigentümer entsprechend seiner Anteile (Aktien) an einem Unternehmen. Sein Stimmrecht wird nach der Aktienzahl gewichtet, Dividenden gibt es pro Anteilsschein.
Soweit so klar? Ganz so einfach ist es nicht, denn die Gehöferschaft Wadrill besteht im Grundbuch aus drei getrennten Liegenschaften, also wenn man so will, aus drei verschiedenen Gehöferschaften. Sie heißen: Großzinserben, Wittemhoferben, Forsthoferben. Eine bis 2011 existierende vierte Erbschaft, die Huferben, wurde im Rahmen der Flurbereinigung aufgelöst und in die Großzinserben integriert. Jede dieser Erbschaften hat unterschiedlich große Flächen, eine unterschiedliche Eigentümerstruktur mit wiederum unterschiedlich großen Anteilen pro Miteigentümer.
Es ist kurz vor neun, mittlerweile herrscht reges Treiben. Wortfetzen dringen an mein Ohr, „Haut öss Heckewedder“, „Hoffentlich zéijen äisch önn kläen Nummer“, „Ött soll meh Holz gönn wie Vierischjòhr“.



Ich sehe nur gutgelaunte Gesichter, höre herzliches Lachen. Reinhold mit seinen 82 Jahren ist auch da und seine Tochter Margret. Sie ist heute Morgen von Heidelberg angereist, um zusammen mit ihrem Vater dieses Spektakel zu erleben. Was ist an dieser Heckenteilung so faszinierend und warum machen nach wie vor so viele ihr eigenes Holz? Bei Gott, keine leichte Arbeit, gefährlich obendrein. Mir fallen einige Antworten ein: die Liebe des Deutschen zum Wald, ein Stück echte Männerarbeit, Arbeit draußen in der Natur, das Gemeinschaftsgefühl zu etwas Einzigartigen zu gehören, nachhaltiger regenerativer Brennstoff…. ich weiß nicht, von allem etwas und einen großen Rest, den man nicht fassen, beschreiben kann. Ich sehe auch viele junge Gesichter, hier sind drei, vier Generationen versammelt. Klasse!
Mittlerweile steht die Technik, jeder hat seinen Schnaps und es geht los. Der Gehöferschaftsvorsteher heißt alle willkommen und gibt einige wichtige Informationen zur heutigen Heckenteilung. Ich erfahre, dass eine Fläche von rund 4 ha zugeteilt wird, wobei 2 ha auf den Stock gesetzt werden sollen, die andere Hälfte wird durchforstet.
So nutzt die Gehöferschaft also ihren Wald?
Rund die Hälfte des Waldes ist sogenannter Niederwald, früher Lohhecken und heute noch Heck(en) genannt. Bei der Niederwaldwirtschaft werden in einem zeitlichen Rhythmus von 18 bis 25 Jahren (Umtriebszeit) die Bäume „auf den Stock gesetzt“. Das heißt, die Fläche wird komplett eingeschlagen und die „Wiederbewaldung“ erfolgt hauptsächlich aus Stockausschlag. Ein solch großflächiger Kahlschlag ist nach dem saarl. Waldgesetz normalerweise nicht erlaubt. Eine ausdrücklich erwähnte Ausnahme bildet aber die Niederwaldwirtschaft. Diese Wirtschaftsform gilt heute meist als obsolet, da sie unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten wenig attraktiv erscheint. Sie hat aber dennoch in vielfacher Hinsicht ihre Berechtigung . Als Brennstoffquelle kann der Wald auch ohne schwere Forstgeräte genutzt werden und ist deswegen bei den Miteigentümern begehrt. Es ist eine historische Waldnutzungsform, ein altes Kulturgut, inklusive der damit verbundenen jährlichen Heckenteilung. Nicht zu unterschätzen ist die Biodiversität des Niederwaldes. Er ist in seiner Artenvielfalt vielen anderen Waldformen überlegen, da er sich in Baumartenzusammensetzung, Krautflora und als Lebensraum einer vielfältigen Tierwelt von anderen Waldformen fundamental unterscheidet. Hinsichtlich Klimawandel, Schädlingen und extremen Wetterereignissen gilt er als eine zukunftsfähige Waldform.
Die Gehöferschaft ist bemüht, ihre Niederwälder im Kern zu erhalten.
Leo gibt einige Hinweise, warum es in diesem Jahr nicht nur den üblichen Kahlschlag gibt. Die zugeteilte Fläche ist fast ausschließlich mit Birken bewachsen. Später sehe ich zwischen den Birken verkümmerte Eichen, die mich an Bonsaibäume erinnern. „Dies sind die Auswirkungen von zu hohen Wildbeständen, Eichen stehen ganz oben auf der Beliebtheitsskala von Rot- und Rehwild“, sagt mir Rolf. „So bleiben als Folge von jahrelangem Verbiss nur die Birken übrig“. Das habe ich so noch nie gehört, aber hier kann ich die Folgen mit meinen eigenen Augen sehen. Entmischung, nennt der Fachmann das. Die Gehöferschaft wird Lärchen, Kastanien und Eichen anpflanzen. Zwei große Gatter müssen gebaut werden, um die jungen Pflanzen zu schützen. Alle Pflanzen außerhalb der Gatter müssen mit einem Einzelschutz versehen werden. Hört sich nach viel Arbeit und Geld an, aber zukunftsweisend. Darauf angesprochen meint Markus, „das machen wir für die folgenden Generationen“. Wow, das nenne ich Generationenvertrag!
Dann treten alle näher heran, es wird ruhiger, eine spürbare Spannung macht sich breit. Auch Oskar verstummt nach einem freundlichen: „Hall dein Klapp, ött geht loss“:
Der Vorsteher hat einen grünen Leinensack in der Hand und Markus einen zweiten.
Wie ich mittlerweile weiß, ist jede Hausmarke auf eine kleine Holzkugel eingeritzt. Die Holzkugeln aller Teilnehmer befinden sich im Leinensack, den der Vorsteher in der Hand hält. Leo zieht nun eine Holzkugel mit Heckenzeichen…. „Bäckerbrot“… das ist Toni. Er kommt vor und zieht aus dem zweiten Säckchen bei Markus eine Nummer. Diese Nummer – auf einem kleinen Holzwürfel – bestimmt die Reihenfolge der sich anschließenden Heckenteilung. Nr 16 …Achselzucken. Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Hufnägelchen… Martin… Nr. 39.. „ da gefft ött halt späder“! Hans-Björn, seine Mutter stammte aus Wadrill – er wohnt hönnerm Wall – zieht Nummer 1. Ein Geraune geht durch die Menge, „Gleck gehatt“!
Der Gast aus der Ferne, Margret, darf ein Heckenzeichen ziehen. Glücksfee für Edgar… Raute mit Keft…Nr.3!
Erstaunlich, jeder hier kennt sein Heckenzeichen. „Zwee Weck on ö Kefft“ oder „ött Butschelschin“, das soll sich einer merken.
Nachdem alle ihr Heckenzeichen und eine Nummer haben, wird mit Nummer 1 beginnend und dem Heckenzeichen folgend der sogenannte Rosenkranz erstellt. Dazu fädelt Markus alle Kugeln und Würfel auf eine Schnur. Wie auf dem Bild zu sehen, ist damit die Reihenfolge der Ziehung auf simple Art und Weise dokumentiert. Heutzutage wird parallel ein Zuteilungsblatt im PC erstellt und automatisch die Mäßchenanzahl eingefügt.

Die eigentliche Zuteilung des Niederwaldareals an die Miteigentümer erfolgt mit der Rute. Dies ist eine Fichtenstange, die 16 Mäßchen lang ist, das sind rund 5m. Hierauf sind 8, 4, 2 und 1 Mäßchen markiert. Demnach entspräche ein Mäßchen mit 31,25 cm in etwa dem preußischen Fuß mit 31,38cm. Zur Kennzeichnung seiner Zuteilung hat jeder Teilnehmer einen dünnen Pfahl (vorzugsweise aus Haselnussholz), auf dem seine Hausmarke eingeritzt ist. Dieser wird in den Boden geschlagen und das Heckenzeichen zeigt in Richtung seiner Zuteilung. Am Ende schlägt der nächste Gehöfer seinen Pfahl ein und der vor ihm liegende Miteigentümer ritzt sein Heckenzeichen auf die Rückseite des Pfahls. So werden letztlich alle Parzellen auf der Stirnseite und der Rückseite abgesteckt. Nun hat jeder sein Heckenstück, auf dem er sein Brennholz einschlagen kann.
Zum Auffinden der späteren Polter wird ebenfalls ein kleiner Pfahl mit Heckenzeichen auf dem Holzstoß eingeschlagen.
Bevor es aber mit der Zuteilung losgeht, habe ich Gelegenheit mich noch etwas umzusehen. Die zukünftigen Nachbarn, in dem Falle Edmund mit Nummer 8 und Christoph Nummer 9 schließen sich kurz und Christoph ritzt mit einem Messer sein Heckenzeichen – vier Keft – auf die Rückseite von 2 Stöcken von Edmund. Nachdem ich das Prinzip der Markierung später begriffen habe, war das sinnvolle Vorarbeit.
Normalerweise werden zwei Doppelstücke an die Miteigentümer verteilt, jeweils mit einer Tiefe von 30 m und der doppelten Länge der Mäßchen. Heute beträgt die Tiefe ausnahmsweise 45 m und die Mäßchen werden mit 1,5 multipliziert.
Die Zuteilungsflächen wurden Wochen vorher vom Vorstand vermessen und markiert. Früher durch „Plätten“ (hierbei wurde die Rinde der Grenzbäume auf Augenhöhe geschält) heute benutzt man Markierfarbe.
Auf die Plätze, und schon geht´s los!
Nr. 1: Hans-Björn, 13 Mäßchen!
Helmut der Routengänger stampft bei der Markierung von 13 Mäßchen auf der Rute in den Boden: „Hei, hei hin mött deim Pòhl“.
Nr. 2: Leo, 35 Mäßchen, “Zwo Rouden onn dräi Schou“, knurrt Helmut.
(Zwei Ruten, also 2×16 Mäßchen plus 3 Mäßchen. Mäßchen wurden früher auch als Schuh bezeichnet.)
Und dann, mit ungeahnter Geschwindigkeit zischt die Rute nahe am Boden durch Ginster und Unterholz. Hier darf keiner im Weg sein! Bei der Nr. 10, das ist Ferdi aus Gehweiler ist Schluss, das Ende der ersten Teilungsfläche ist erreicht. Jetzt geht es zurück und die Rückseite wird vermessen und markiert.
„Holz satt“ höre ich Edgar zufrieden grummeln. Alwin meint trocken zu seinem Ziehungsnachbarn Helmut: Sei froh, datt du so wenig hast, dann hascht du och nett vill Ärwött“!In der Ferne höre ich die Kirchenglocken von Grimburg, was, schon halb zwölf! Und mittlerweile läuft die Zuteilung nach gleichem Muster im Durchforstungsbestand.
Kurz nach eins ist alles vermessen, jeder hat nun sein Heckenstück. Daß ein solcher Vormittag hungrig und durstig macht, wen wundert’s. Alle Gehöfer treffen sich zum Aprés Ski, pardon, gemütlichen Beisammensein in der Harteichhütte. Hier haben Ilse und Ulla heiße Wiener Würstchen und einen frischen Weck von Stefan anzubieten. Dazu ein kühles Blondes!
Allseits zufriedene Gesichter, lebhafte Unterhaltung. Man lässt den Vormittag Revue passieren, fachsimpelt über Modelle von Motorsägen oder die „Alten“ erzählen von Heckenteilungen in der Vergangenheit. „Für mich ist der Tag der Heckenteilung der höchste Feiertag im Jahr“, hierfür erntet Rolf zustimmendes Nicken.
So allmählich verstehe ich das Geheimnis hinter der Gehöferschaft!
Die Gehöferschaft – eine Perle von Wadrilltal
Die Entstehung und Entwicklung von Wadrill war über Jahrhunderte eng verbunden mit den Wadriller Gehöferschaften (Erbschaften) und sie ist es noch heute. Im Vergleich zu unseren Nachbargemeinden Gehweiler und Reidelbach – hier gab es unter der Grundherrschaft von Mettlach und Dagstuhl keine Gehöferschaft, sondern das System der Stockbauern – ist auch heute noch die Gehöferschaft größter Landbesitzer in Wadrill. Über 130 Miteigentümer stellen mit Lebenspartnern und Kindern schätzungsweise 300-400 Personen, die an der Gehöferschaft beteiligt sind. Darüber hinaus nutzen große Teile der Bevölkerung von Wadrill, Gehweiler und Reidelbach die Wälder der Gehöferschaft auf vielfältige Weise in ihrer Freizeit. Nicht zu vergessen unsere Hochwaldalm. Die Hütte ist im Besitz der Gehöferschaft und wird von der Stadt Wadern als Touristenattraktion unterhalten und genutzt. Seit der Flurbereinigung 2011 beherbergt die Gehöferschaft auf der Addeil auch keltische Grabhügel. Ebenso ist sie Eigentümerin des alten Schieferstollens im Leienberg. Durch die Bewirtschaftung ihrer Flächen trägt die Gehöferschaft nicht unerheblich zur Landschaftspflege des Hochwaldraumes bei.


Mit Eigentümern aus Wadrill, Gehweiler, Reidelbach und vielen umliegenden Orten ist sie eine Perle des neuen Ortsverbandes Wadrilltal. Es lohnt sich dieses Kulturgut zu bewahren und in die Moderne zu führen!
Zum Verfasser: Leo Clasen ist der aktuelle Vorsteher der Wadriller Gehöferschaft
Im Mai 2024 wurde die Wadriller Gehöferschaft in die Liste der Immateriellen Kulturgüter des Saarlandes aufgenommen. Am 26. März 2025 ist sie auch in das Bundesverzeichnis aufgenommen worden und darf ein eigenes Logo führen:

Am 19.11.2025 fand im Saarbrücker Schloss der feierliche Festakt mit der Überreichung der Urkunden statt. Darüber berichtete die SZ am 21.11.25.
Drei weitere Saar-Bräuche sind jetzt Kulturerbe
Bereits im März wurden bundesweit 18 Bräuche, Traditionen und Co. neu in das Bundesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Drei davon sind originär saarländisch. Deswegen fand der bundesweite Festakt nun auch im Saarbrücker Schloss statt.

Von Isabell Schirra (Saarbrücker Zeitung vom 21.11.2025)
Saarbrücken Bei so einem Festakt anlässlich der Neuaufnahmen in das Bundesverzeichnis des immateriellen Kulturerbes kann man wirklich einiges lernen: Dass es tatsächlich Professoren für Ludologie, die Wissenschaft vom Spielen gibt, zum Beispiel. Oder dass Blattgold gerade einmal ein zehntausendstel Millimeter dick sein darf. Dass Rotwelsch eigentlich gar kein Dialekt ist, sondern ein Soziolekt, eine Geheimsprache, die schon im Mittelalter von den Standeslosen, von Bettlern und Vagabunden genutzt wurde, um zu kommunizieren. Und überdies noch wirklich drollig klingt. Dass die Herstellung von Destillaten in Deutschland erstmals um 1100 belegt ist und dass die Brennkunst zunächst in der Hand von weisen Frauen, Heilerinnen lag, die damit medizinische Tinkturen und Co. herstellten. Aber auch, wie lieblich so eine Waldzither klingt, jenes Instrument, dass schon von Goethe in einem fort erwähnt wurde und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zum deutschen Nationalinstrument gemacht werden sollte.
Um einige Punkte mehr ließe sich diese Liste noch fortsetzen. Schließlich wurden in diesem Jahr ganze 18 Kulturpraktiken von der Kulturministerkonferenz als immaterielles Kulturerbe anerkannt, und somit mehr als in den Jahren zuvor. Und weil neben einigen deutschlandweit etablierten Kulturpraktiken – zum Beispiel das Gold- und Silberschmiedehandwerk und das Gebrauchshundewesen – und anderen regionalen Spielarten – etwa dem Kunsthandwerk im Erzgebirge oder dem „Chinesenfasching Dietfurt“ – auch drei originär saarländische Traditionen ausgezeichnet wurden und das Saarland so überproportional unter den Ernennungen vertreten war, fand der Festakt mit rund 120 Gästen aus ganz Deutschland in diesem Jahr im Saarbrücker Schloss statt.
Dort hatten – unter Beisein von Gastgeberin und Kultusministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) – im Zuge der Urkundenüberreichung auch die saarländischen Ausgezeichneten noch einmal die Gelegenheit, ‚ihr‘ Kulturerbe vorzustellen. Zumindest einem Trupp passten die draußen unaufhörlich rieselnden Schneeflocken dabei ganz gut in den Kram: den Verantwortlichen vom Nikolauspostamt St. Nikolaus in Großrosseln nämlich. Die stimmten gleich ein weihnachtliches Lied an und erzählten den übrigen Ausgezeichneten aus ganz Deutschland von den Abertausenden Kinderbriefen an den Nikolaus, die die Dorfgemeinschaft schon seit 1966 mit großem Aufwand alljährlich beantwortet. Die Auszeichnung zeige, „dass unser Engagement, unsere Tradition und unser Herzblut nicht nur Kinder berührt, sondern auch kulturell wertvoll und schützenswert ist“, bedankte sich Julia Gerecke stellvertretend für ihr Dorf für die Auszeichnung.
Ebenfalls als immaterielles Kulturerbe anerkannt wurde die Gehöferschaft Wadrill. Eine Art „Geheimbund“, wie es deren Vorsitzender Leo Clasen ausdrückte, bei dem sich 135 Miteigentümer 375 Hektar Hoch- und Nadelwald im nordsaarländischen Hunsrück teilen. Im Vordergrund steht dabei die nachhaltige Waldpflege, deren Praktiken schon seit Generationen in der Gehöferschaft weitergegeben werden. Die zu bewirtschafteten Flächen werden jährlich mittels traditioneller Methoden wie „Heckenzeichen“ (Holzkugeln mit individuellen Markierungen) und der „Rute“ (eine Fichtenstange, die zur Zuteilung von Nutzungsflächen verwendet wird) per Losverfahren zugeteilt. Leo Clasen und seine Kollegen gaben beim Festakt gleich auch eine Kostprobe dieser altertümlichen Verteilungsmethode. Die sorgte zwar weitgehend für Stirnrunzeln und Verwirrung bei den übrigen Gästen – zeigte aber auf, wie speziell, wie eigensinnig auch die Praktiken sind, die als schützenswert ausgewiesen werden.
So funktioniert die Aufnahme ins Verzeichnis
Seit 2014 werden im Bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes beispielhaft Kulturformen aus der Bundesrepublik Deutschland geführt, die zeigen, welche lebendigen kulturellen Traditionen und Ausdrucksformen praktiziert und weitergegeben werden. Das Fachkomitee der deutschen Unesco-Kommission prüft Vorschläge und gibt eine Empfehlung ab. Die Kultusministerkonferenz und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien beschließen die Aufnahme. Derzeit werden 168 Einträge geführt, fünf sind spezifisch saarländische Praktiken (Fastnacht an der Saar, Nikolauspostamt St. Nikolaus, Gehöferschaft Wadrill, Steigerlied, Viezen).


